Jonathan Tucker

Jonathan Tucker

Sein Home Office zu Besuch in unserem Home Office. Hollywood mal ganz anders. Live aus der Villa des angesagten und renommierten Schauspielers. Erst frisch vom Sofa und dann, nachdem seine Kinder zu laut waren, aus dem Nebenzimmer, mit Bett im Hintergrund. Zoom macht's möglich. Was Jonathan so über die Liebe denkt, klärten wir bei einem mehr als entspannten Zweiergespräch. 

Es ist gewöhnlich besser, schon einmal ein paar Stunden Wartezeit einzurechnen. Bis das Make-up sitzt, beim Star, die Frisur, er oder sie das passende Getränk der Wahl zu sich genommen haben oder das, wie auch immer geartete Häppchen gegessen. In der Zwischenzeit reihen sich Kamerateams aller Herren Länder in den Vorräumen der meist großen Luxushotels aneinander, treten dabei den ebenso zahlreichen Redakteuren und Journalisten schon mal auf die Füße, es herrscht eine unausgesprochene Hackordung, Zeitpläne werden strengstens im Vorfeld getaktet, jeder hält sich an sie. Der Star meistens nicht. Alle, die im Foyer Anwesenden, meist auch schon selbst eine größere oder kleinere Bekanntheit. Das geschäftige Warten der Medien auf Interviews.

Doch heute ist alles anders. Da sitzt er. Vis à vis per Zoom-Call. Auf die Minute pünktlich. Noch nie war es leichter Interviews mit Hollywood-Stars zu führen, als genau jetzt: Schauspieler Jonathan Tucker virtuell zu Besuch in meinem Homeoffice. Natürlich habe ich vorher ein wenig aufgeräumt, alles noch ein wenig in Szene gesetzt, man weiß bei dieser Art des Meetings ja nie, wie sich das berühmte Gegenüber gleich darbietet. In Jonathan's Fall dann doch ganz entspannt, mit Baseball-Kappe der Los Angeles Dodgers und T-Shirt. Seine zwei Kinder krabbeln laut quieckend neben ihm auf dem Sofa herum, seine Frau Tara Ahamed hat sich gemütlich dazugelegt. „Wie lange haben wir Zeit?“, meine erste Frage an ihn, „solange Du willst,“ seine Antwort. Auch das ist mehr als ungewöhnlich, sind derartige Interviews doch meist auf übersichtliche Minuten festgelegt. Aber auch das hat sich seit letztem Jahr verändert. Jonathan Tucker, mein Freund aus der Nachbarschaft. Zumindest fühlt es sich gerade so an. Obwohl seine Karriere durchaus beeindruckend ist.

Nicht nur hatte er das Glück, mit einigen der talentiertesten Filmemacher von heute zusammenarbeiten zu können, er mischt auch in so ziemlich jeder angesagten Serie mit und war bei zahlreichen großen Hollywood-Filmproduktionen am Start: Kingdom (inzwischen von Netflix übernommen), American Gods, HBOs Emmy-nominiertem Westworld, im mit dem Oscar ausgezeichneten Skin. Natürlich Call of Duty: WWII oder Charlies Angels mit Kristen Stewart und in dem von Matt Damon/Ben Affleck produzierten Drama City on a hill, neben Kevin Bacon. Weiter geht's: The Ruins, The next three days mit Russell Crowe, The Black Donnellys, In the Valley of Elah, The deep End und dann eben das Remake von Regisseur Marcus Nispel des Horror-Klassikers Texas Chainsaw Massacre. Er spielte in Samuel Goldwyns Stateside mit Val Kilmer, in dem von Soderbergh/Clooney produzierten Spielfilm Criminal Hostage neben Bruce Willis und in Weinstein Co.s Pulse. Er zierte auch dunkle Komödien wie Love comes to the executioner mit Ginnifer Goodwin und Jeremy Renner, das Drama Cherry Crush mit Nikki Reed und in der Biografie von Quentin Crisp An Englishman in New York mit John Hurt war er auch an Bord. Auch bei Sofia Coppolas The Virgin Suicides war er neben Kirsten Dunst dabei, bei Ball in the House mit David Strathairn und Jennifer Tilly, dem dramatischen Thriller Meskada, Levinsons gefeiertem Sleepers und in der Komödie Two if by the Sea mit Sandra Bullock.

Und dann sind da noch die früheren Streifzüge ins Fernsehen mit denkwürdigen Auftritten in Serien, wie Parenthood und Hannibal, sowie Gastrollen unter vielen anderen in Criminal Minds, White Collar, Law&Order, Criminal Intense oder 6 Feet under. Sie sehen schon, Sie kennen ihn. Genug der langen Listen jetzt. 

Und da er nun so nett vor mir sitzt und auch im Vorfeld keine Einschränkungen zu den Fragen gemacht hat, wie das sonst bei Stars nunmal so üblich ist, frage ich munter drauflos. Was „Lieben“ für ihn bedeutet und ob er sich als privilegiert empfindet und wie er zu Glück, Hoffnung und dem lieben Geld steht.

Wie fühlt es sich denn an, ganz oben zu sein? Und bitte sage jetzt nicht, Du bist das nicht.

Dieses „Oben sein“ ist ein Prozess. Denn es gibt kein Oben und Unten. Wichtig bei allem ist die Neugier und das Entdecken. Wenn man sich an der Spitze empfindet, hat man genau das alles eigentlich verloren. Wenn man denkt, man ist schon angekommen, ist man nicht mehr neugierig. Und wenn man nicht im Entdeckermodus ist, versucht man seine Strategie und den Willen auszuschalten. Nehmen wir mal das Beispiel des Sportlers: Es braucht viel Übung und Vorbereitung, um an einem Wettkampf teilzunehmen. Beim Wettkampf selbst muss man sich dann den Gegebenheiten stellen. Immer wieder. Der Sportler ist also niemals oben angekommen. Denn nichts ist fix und alles verändert sich ständig. Man muss sich dabei im Klaren sein und stark sein. Jeff Bezos hat gesagt: „Man muss stur in der Vision und flexibel in der Strategie sein“, das fasst es wohl am besten zusammen, wie ich selbst bin und wie das gesamte Film-Business arbeitet.

Was bedeutet für Dich glücklich zu sein? Empfindest Du Dich als privilegiert?

Dankbar zu sein! Ich habe mir vor zwei Monaten die Achillessehne gerissen und konnte so neun Wochen nicht laufen. Da war ich sehr dankbar, als ich das dann wieder konnte. Besonders als Schauspieler befindet man sich immer in Konkurrenz, da gibt es schnell einen anderen, der etwas besser kann, insofern muss man dankbar sein für das, was man hat. Ich habe zwei Beine, kann mich ernähren und meine Kinder sind gesund. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man verhindert oder verletzt ist. Viele Menschen verlieren derzeit auch Angehörige oder leiden unter anderen Dingen. Man muss also dankbar sein für das, was man hat.

Braucht man im Leben einen Partner um glücklich zu sein?

Nein, ich glaube nicht. Echtes Glück ist intrinsisch. Echte Befriedigung kommt daher, wenn man erkennt, wer man ist und wohin man sich in der Welt bewegt. Zurückgeben ist echtes Glück und führt zum Glück, weil es hilft, den Platz in der Welt zu finden. Es gibt so viele Beispiele von Leuten, die heute ein bedeutungsvolles, befriedigendes Leben führen und das zuvor nicht hatten. Aber wenn man jemanden findet, mit dem man durch das Leben gehen kann, eine Person, mit der es möglich ist einen gegenseitigen Mehrwert zu leben, dann ist das eine der größten Freuden des Lebens.

Ist der Sinn einer Partnerschaft folglich den anderen glücklich zu machen? Oder besser: Wie macht man jemanden glücklich?

Ich denke "zurückgeben" ist der Schlüssel zum Glück und dem Gelingen einer Partnerschaft. Das ist auch im Großen der Schlüssel, zum Beispiel in der Politik oder der Geschäftswelt, für ein Funktionieren derselben. Und das steht nicht im Widerspruch zu einer Marktwirtschaft. Wenn man ein Produkt kauft, das einen Mehrwert liefert und so funktioniert, wie es versprochen wurde, dann ist man zufrieden. In einer Partnerschaft verhält sich das ähnlich. Das Problem ist aber oft die Erwartungshaltung und der Unterschied zwischen dem, was man erwartet und dem, was man erhält. Wenn man sich jedoch immer im Zustand der Dankbarkeit befindet, hat man nicht dauernd im Fokus, wie einen jemand befriedigen kann. Die Lösung ist wohl, dass man auch unabhängig voneinander glücklich und zufrieden ist und seine eigene tragende Säule bleibt. Dann funktioniert die Partnerschaft.

Sind wir es demnach selbst, die die Liebe oft verhindern?

Ja sicher. Vor allem seit ich Kinder habe, habe ich gemerkt, wieviel Schaden von Eltern und Umfeld schon alleine an Kindern angerichtet wird. 

Empfindest Du Dich als privilegiert?

In den USA wird viel über Privilegien gesprochen und viele Menschen genießen enorme Privilegien hier, aber das Leben an sich ist komplett unfair. In der Natur gibt es kein faires Leben. Es ist hart und fordernd. Wenn man mit Dingen geboren ist, die alle anderen auch gern hätten, muss man das unbedingt schätzen. Irgendwo betet immer jemand um die Sachen, die man selbst bereits hat. Das größte Privileg ist jedoch, von Eltern großgezogen zu werden, die einen lieben. Sich angenommen zu fühlen. Ich denke, wenn Menschen sich in einer unglücklichen Beziehung befinden, ist das oft auch das Resultat einer unglücklichen Kindheit.

Du hast viel erreicht bislang, auf was hoffst Du?

Ich will die Möglichkeit haben den Menschen Geschichten zu erzählen. Geschichten von Leuten, die noch nie adäquat erzählt worden sind. Da würde ich gerne weitermachen und ich hoffe, wir werden weiterhin Geschichten aus allen Ecken der Welt erhalten. Ich liebe es, hier meinen Teil beizutragen.

"Geld allein macht nicht glücklich", heißt es. Stimmt das? Oder ist das nur ein Schönreden des Mangels, für den Fall, dass man nicht genug Geld hat? 

Man braucht eine Mindestmenge an Geld, um glücklich zu sein. Im Großen und Ganzen gibt es diese romantische Idee, dass wir nur von Luft und Liebe leben können, aber das ist in Anbetracht einer zivilisierten Gesellschaft nicht realisierbar. Und die empirische Studienlage ist demgegenüber auch ganz eindeutig – man braucht eine gewisse Geldmenge, um glücklich und zufrieden zu sein. Aber alles was über diese Menge hinausgeht, steigert die Zufriedenheit wiederum nicht signifikant. Es reicht also normalerweise sich nicht mehr darum kümmern zu müssen, ob Essen auf dem Tisch steht und man ein Dach über dem Kopf hat. Dann kann man sich darum kümmern, ob man mit sich selbst und seinen Beziehungen zufrieden ist.

Natürlich gelte ich als Millionär. Millionäre gibt es heute viele. Es gibt auch viele Milliardäre und zwischen denen und den Millionären ist nochmals ein himmelhoher Unterschied. Dennoch will ich nicht, dass meine Kinder aufwachsen und denken, sie müssten nicht hart arbeiten und nichts opfern, im Leben. Sie sollen nicht alles für selbstverständlich halten. Ich bin stolz Amerikaner zu sein, weil wir in den letzten vier Jahren wirklich herausfinden mussten, wer wir sind. Es gab da verschiedene Ansätze und man weiß jetzt, was Amerika der Welt zu bieten hat, was eine marktorientierte Wirtschaft ist, unabhängig von Rasse, Ethnien oder Religion. Eine Wirtschaft, die einen generationsübergreifenden Wohlstand sicherstellt. Das umzusetzen ist heute noch ein großes Problem. Ich weiß nicht wirklich was hier die Lösung sein wird, aber hart zu arbeiten verleiht jedem Menschen schon mal Selbstwert und ist eines der bedeutendsten Fundamente für Glückseligkeit.

Aber jetzt noch eine ganz andere Frage: Wenn man im Film den Bösen spielt, muss man bisweilen äusserste Aggression, Haß oder Wut an den Tag legen. Wie schwer ist es, diese Momente wieder zu vergessen und sie nicht in den eigenen Charakter zu integrieren?

Die schwierigeren Rollen, die man mit nach Hause nimmt, sind eigentlich nicht die, des ganz Bösen, sondern, wie in Kingdom, die traurigen. Es ist viel schwieriger, mit den Herzensangelegenheiten umzugehen, als mit dem Bösen. Die gewöhnlichen, alltäglichen Situationen begleiten einen meist länger, als die theatralischen. Die Good Guy Rollen sind oft die herausfordernden. Denn Traurigkeit ist überwältigend. Oft sind aber eine kurze Autofahrt oder eine schöne Dusche schon ausreichend, um das Gefühl wieder los zu werden. Aber für einen Rechtsanwalt, der sich den ganzen Tag mit Scheidungen beschäftigen muss oder für einen Zivildienstleistenden, der Waisenkindern betreut, ist es auch nicht leicht, das nach Dienstschluss sofort zu vergessen. So tragen wir alle unser Paket und ja, die Welt verlangt viel, das ist manchmal schon traurig. Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig immer tiefgreifende Schönheit und Inspiration.

Photographer: Tony Duran: Syndication/Tony Duran
Grooming & Haircut: Kela Wong using @BalmainHairCouture @Tomfordbeauty
Wardrobe stylist: Avo Yermagyan; IG @avoyermagyan

 

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