Interview mit Squash

Interview mit Squash

Selbstverständlich kennt man das große Glück, das man empfinden kann, wenn man auf einem Gipfel steht. Weit über das Land zu schauen. Die unendlich Ruhe zu genießen. Dann vielleicht noch nett einzukehren und die große Freiheit zu zelebrieren. Aber dieses Gipfelglück soll uns heute nicht genügen. Denn es gibt Gipfel, die nicht für alle und jedermann zu erreichen sind. Auf denen kein beschaulicher Imbiss wartet, sondern vielmehr Schnee, Eis und manchmal sogar der Tod. Gipfel, die weit jenseits der 8.000er Marke liegen und sich meistens in geheimnisvolle Wolken hüllen. Eine gigantische Herausforderung an die menschliche Natur, sie zu erklimmen. Doch was treibt einen eigentlich an, sich in derartige Höhen aufschwingen zu wollen? Wir sprachen mit Squash, einer jungen Frau, die als eine der wenigen dieses Höchste erreicht hat.

Wir sprechen mit Squash. Wir stellen sie jetzt nicht weiter vor, Sie werden sie gleich besser kennenlernen und das Tiefste ihrer Seele ergründen können. Und wir sprechen über die Berge. Die höchsten davon haben schon jede Menge Menschenleben gefordert. Jedes Jahr sterben sehr viele Menschen beim Auf- und Abstieg und so gut wie niemand spricht darüber. Auch bei noch relativ niedrigen Bergen, wie dem Mont Blanc. Das können dort um die 88 Menschen im Jahr sein. Berge verdienen einen Heiden Respekt und es ist beileibe kein Kaffeekränzchen, sie zu erklimmen.

 Liebe Squash – dann tauchen wir mal direkt ein, ins Geschehen: Du warst auch auf dem Mount Everest, als eine der wenigen Frauen. Wie geht so ein Aufstieg vor sich?

Wenn man in Kathmandu ankommt, fliegt man nach Luca. Und muss dort zwei Wochen im Basecamp bleiben, um sich zu akklimatisieren. Und das Basecamp liegt hier schon ungefähr so hoch wie der Gipefl des Montblanc, um das mal zu illustrieren. Natürlich gestaltet sich der Aufstieg je nachdem, wie es das Team festlegt, aber nur, um mal eine vage Vorstellung zu bekommen, läuft es meistens so ab: Vom Basecamp zum Gipfel sind es vier Camps. Erst geht man ins erste Basecamp, dann erreicht man das zweite über sehr viel Eis und Schnee und geht wieder zurück in die Ausgangsposition im Basecamp. Dann geht man in der Folge weiter wieder zu Camp eins und zwei und drei und dann wieder zurück in das Basecamp. Dann wieder in Camp zwei und drei und wieder zurück in Basecamp. Und dann heißt es auf ein Wetter-Zeitfenster zu warten und dass man sich gut damit fühlt und dann geht es hoch ins Camp zwei und drei und dann ins Camp vier, das bereits auf 8000 Metern liegt. Wir, sprich mein Team und ich, sind im Camp vier um 13:00 Uhr mittags eingetroffen. Wir haben versucht uns ein wenig auszuruhen, der lange Aufstieg über Schnee und Eis ist anstrengend. Wir haben versucht zu essen und zu trinken und um 20:00 Uhr abends aufsteigen. Wir waren da also schon sieben Stunden auf 8.000 Metern, um den Gipfel nachts zu besteigen. Denn die Idee war, den Gipfel in den ganz frühen Morgenstunden zu erreichen, um den Sonnenaufgang zu erleben und dann die verbleibenden Stunden des Tages für den Abstieg zu haben. Für den Gipfel braucht es also 30 Stunden circa und das Ganze ist ein so fein ausbalancierter Akt. Man muss natürlich das Wetter und die Umgebung beobachten. Aber eben auch die persönliche Kondition. Wenn man nämlich die sogenannte „Todeszone“ erreicht, hört der Körper auf, sich selbst zu reparieren und er arbeitet nicht mehr effizient. Man kann sich dort folglich nicht zu lange aufhalten. Dennoch muss man so lange bleiben, wie die Blutzusammensetzung es verlangt. Denn wenn der Sauerstof in diesen letzten Metern immer dünner und dünner wird, verdickt sich das Blut enorm, damit die roten Blutkörperchen, so viel Sauerstoff wie möglich aufnehmen können. Es findet eine chemische Umorganisation im Körper statt. Und daran muss man sich auch gewöhnen. Aber diese Verdickung des Blutes hat eben den Nachteil, dass der Körper sich nicht mehr ausreichend reparieren kann. Man muss deshalb dringend die Balance wiederfinden. Ein schönes Beispiel dafür, als ich das Basecamp erreicht habe, habe ich mir die Hand an einem unserer Werkzeuge aufgeschnitten. Normalerweise braucht so etwas zwei bis drei Tage, um zu heilen. Aber es ist die gesamte Zeit auf dem Berg nicht geheilt. Erst nach einem Monat, als ich wieder ganz unten angekommen war.

Aber jetzt kommt die Eingangs erwähnte Frage: warum setzt man sich so etwas aus? Das machen ja auch nicht sehr viele Frauen?

Ich war die 27.ste britische Frau, die das gemacht hat, in dem Moment. Wahrscheinlich sind hier die Männer in der Überzahl. Das ist dadurch bedingt, dass Frauen normalerweise Familie haben und ein anderes Risiko-Management betreiben. Aber wie hat das begonnen? Ich selbst bin auf einer Farm großgeworden und liebe es draußen zu sein. Und ich habe schon immer gerne neue Dinge ausprobiert. Und habe auch in der Schule schon Sport sehr genossen, obwohl ich vielleicht nicht die Beste war, in allen Disziplinen. Aber als ich so 17 oder 18 gewesen bin, bin ich immer in meinen Ferien in der Nähe des Montblancs Ski gefahren und habe immer auf diesem Berg gesehen und war voller Bewunderung der Menschen, die da hochsteigen. Es war damals für mich eine Welt, von der ich so gut wie gar nichts gewusst habe. Und dann traf ich Menschen, die Abenteuererlebnisse veranstaltet haben. Extremsportarten wie Bergsteigen, Kajakfahren und andere Dinge. Und in der Folge habe ich dann an einem 36 Stunden Rennen teilgenommen. Das war meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht und ich kam dabei an einen Punkt, wo ich dachte, ich muss aufgeben, es waren noch acht Stunden übrig im Rennen, in Schottland, über Berge und ich dachte, ich kann überhaupt nicht mehr und dann sagte mein Team: „Doch, Du schaffst das, das ist nur der Kopf, der jetzt sagt, dass Du es nicht schafst. Du musst einfach nur weitermachen!“ Das war meine erste Erfahrung im Weitermachen. Weit über meine Grenzen hinauszugehen. Eine wunderbare Erfahrung. Zu dem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, wie wichtig diese Erfahrung gewesen ist, die ich da gemacht habe.

Ein paar Jahre später, ich bin sehr gerne Motorrad gefahren und habe dadurch in Frankreich eine große Tour gemacht und habe in diesem Zuge auch Paragliding ausprobiert und dachte: „Das ist wirklich unglaublich! Und wäre es nicht schön, auf einen Berg zu steigen und von dort runterzufliegen. Aber das war damals nur ein Traum, den ich dann wieder vergessen habe. Dann kam plötzlich eine Freundin auf mich zu, die den Kilimandscharo bestiegen hatte, und meinte: „Warum kommst Du nicht mit uns und machst das auch?“ Und ich sagte ihr, dass ich nicht einmal die passende Ausstattung besäße und überhaupt keine Erfahrung hätte. Aber sie insistierte und meinte, dass sie das alles hätte und nur wissen müsse, ob ich mich fit genug fühlte dafür. Ich musste natürlich zahlen, für diese Reise und musste ein wenig Geld beschaffen. Es ging also erst einmal auf 7.000 Meter hoch. Nicht zu hoch, aber doch wahnsinnig hoch. Aber ich wusste, dass ich ein sehr gutes Team um mich habe, und es in diesem Moment nur Spaß für mich bedeutet.

Ich hab gar nicht weiter darüber nachgedacht. Wir haben ihn bestiegen und es war eine wirklich wunderbare Sache. Ich kehrte nach Hause zurück und musste erstmal ein wenig Geld beschaffen, denn Berge zu begeistern ist wirklich teuer. Dann haben wir beschlossen, als Frauenteam andere Gipfel dieser Größenklasse zu besteigen und Videos mit Snowboard Teams zu machen. Beim Muztagata, in China, 7509 Meter hoch, haben wir den Gipfel nicht erreicht. Wir mussten vorher umkehren und das war auch eine Riesenerfahrung für mich. Dass der Gipfel eben nicht alles ist, sondern auch der Weg dorthin. Und dort war es auch das erste Mal, dass plötzlich jemand im Team gestorben ist und ich mir der Realität bewusst wurde, was man da eigentlich macht. Und wie gefährlich diese Berge sind. Und ich habe mich natürlich gefragt, was ich da mache. Jonathan ist an einer Lungen-Thrombose gestorben, weil sich das Blut eben so verdickt hat. Dabei ist er ein Marathonläufer gewesen! Er wollte schon wieder umkehren, hat sich nicht gut gefühlt, aber es war zu spät für ihn. Er hatte einfach kein Glück in diesem Moment. Wir haben einen Film darüber gemacht, der auch auf einigen Festivals lief.

Später kam eine Frau auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht auf einem Achttausender, dem Cho Oyu, 8201 Meter, dem sechshöchsten Berg der Welt an der tibetisch-nepalesischen Grenze, Skifahren wolle. Und ein Freund gab mir damals einen pinken Plastikschlitten mit, der nicht viel gewogen hat und meinte, dass ich mit dem Plastikschlitten auf dem Achttausender fahren solle. Das habe ich gemacht und wurde dann tatsächlich berühmt für diesen Akt. Ich war der am höchsten fahrende Funboarder. Es ist lächerlich, ich weiß, aber jeder liebt natürlich diese Aufnahme.

Kommen wir noch mal zum Mount Everest. Hattest Du nie Angst zu sterben?

Ja und Nein. Natürlich denken Menschen, ich gehe ganz leicht Risiken ein. Und dass ich ein bisschen verrückt bin. Ich sage, es ist genau das Gegenteil. Wenn ich zum Beispiel Paragliding mache, bin ich die erste, die unter schlechten Bedingungen nicht startet. Ich kalkuliere die Risiken, so gut ich kann. Ich lege den Barren sehr hoch, aber ich bin sehr vorsichtig damit. Natürlich mache ich Paragliding und fahre Motorrad und erklimme Berge und fahre Ski aber ich kalkuliere eben das Risiko so gut ich kann. Und ich bereite mich auf bestem Wege vor. Mit dem besten Team, mit der besten Ausstattung mit der besten Erfahrung und natürlich mit der richtigen Einstellung. So verlasse ich mich auf mich in diesem Moment und weiß auch genau, wie weit ich gehen kann. Das Risiko ist daher normalerweise kalkulierbar. Aber es gab einen Punkt, an dem ich merkte, dass ich zu weit gegangen war. Denn man muss seine Limits kennen. Aber manchmal geht es eben darüber hinaus. Denn mit einem Berg, wie dem Mount Everest ist das sehr schwierig zu kalkulieren. Er ist eine große Herausforderung.

Ich kam auf einem anderen Berg schon in dieser Situation, dass ich dachte, ich muss vielleicht sterben und an dem Punkt ist tatsächlich jemand anders gestorben und ich dachte bei mir, dass auch ich das hätte sein können. Aber das war auch der Moment, als jemand zu mir meinte, dass ich stark genug wäre, den Mount Everest zu besteigen. Der war vorher nie eine Option für mich gewesen. Aber ich hatte so viele Jahre vorher schon diese drei Träume in meinem Leben: Einer war, auf den Montblanc zu steigen, einer war im Süden von Frankreich Motorrad zu fahren und einer war einen sehr hohen Berg zu besteigen. Der Montblanc war ja nicht so hoch, auch nicht der Cho Oyu. Insofern war die Idee auf den Montblanc zu steigen und vom Gipfel herunter zu paragliden, eine tolle Idee. Ich hate nicht ausreichend Geld zu der Zeit, dass man es tatsächlich hätte verwirklichen können, dennoch fanden es alle im Umfeld genial. Es tauchte die Frage auf, wie es zu verwirklichen sein könnte. Ich arbeitete zu der Zeit mit einem Sportfotografen zusammen und war ein Sportmodel. Und da wendete ich mich mit diesen großartigen Sportfotos, die ich schon in meinem Portfolio hatte durch den Fotografen, an BMW. Ich teilte BMW mit, dass die BBC einen großen Bericht über mich machen möchte, bei diesem Abenteuer. Und sie wollten mich mit einem Motorrad unterstützen. Und dann ging ich zur BBC und sagte, BMW will mich nun auch unterstützen und dann hatte ich die beiden großen Sponsoren an der Hand und musste mir einen Paraglider leihen, was aber dann nicht mehr so schwierig war. Wir konnten dieses Projekt umsetzen und ich war zwei Tage auf dem Berg und bin als erste britische Frau 20 Minuten hinabgeflogen. So hatte ich den Weg gefunden, Sponsoren an Land zu ziehen für meine Projekte und die waren begeistert. Aber man fragte mich natürlich sofort nach dem nächsten Projekt und ich war ganz großkotzig und meinte, ich fliege dann jetzt von dem Mount Everest. Ich habe es gar nichts wirklich ausgesprochen, es in einem Radio Interview nur nebenbei bemerkt und eigentlich gar nicht bemerkt, was ich da von mir gebe.

Aber Du bist doch nicht mit einem Paraglider vom Mount Everest geflogen?

Ich hatte ihn dabei und es war so geplant, aber es fand nicht statt. Mein Riesen Erfolg ist gewesen, zumindest lebend wieder da runter gekommen zu sein. Nein, ich habe es natürlich nicht geschafft, runter zu fliegen. Aber erinnere das, was ich vorher erzählt habe, dass man sich natürlich körperlich vorbereiten kann und alles andere vorbereiten kann. Aber letztendlich wird es ein eine psychische Herausforderung. So kam ich auf dem Everest physisch und mental an die Grenze, und es waren überhaupt keine Ressourcen mehr vorhanden. Wenn kein Sauerstoff mehr in der Luft ist und man sich überhaupt nicht mehr schnell bewegen kann, fängt man an, auch sehr langsam zu denken und kann nicht an viele Dinge gleichzeitig denken. Nur ein, zwei Gedanken sind möglich und diese auch nur sehr langsam. Ich war also physisch und mental völlig ausgelaugt und plötzlich stieg diese riesige Emotion in mir hoch. Und ich konnte meine Mutter hören, wie sie sagt: „Du bist stark und ich liebe dich. Und du kommst wieder zurück zu mir!“ Und ich umarmte mit ganzer Kraft diese Liebe, die ich da gespürt habe zu ihr und ich wusste, in dem Moment, dass ich viel zu weit gegangen war. Dass ich am Abgrund dessen stand, was überhaupt möglich ist. Ich war zu weit gegangen.

Ich war auf dem Everest mit meinem Bergsteigerteam unterwegs, mit dem ich schon vorher auf den anderen Gipfeln war. Ein Team, mit dem ich schon seit Jahren zusammen arbeitete und jetzt waren wir auf dem Everest und wir hatten den Gipfel noch nicht erreicht und das Wetter war sehr schlecht. Und ich rief: „Ich kann nicht mehr, ich muss umkehren! Und mein Partner sagte: „Squash, wir sind so nah, wir sind 30 Meter vom Gipfel entfernt. Wir können jetzt nicht umkehren. Wir müssen das durchziehen.“ Und ich dachte mir: „Okay, dann schaffe ich den Gipfel und wenn ich dann sterbe, dann habe ich es wenigstens zum Gipfel geschafft!“

Das hast du wirklich gedacht?

Ja, wir waren so wenige Minuten vom Gipfel entfernt und ich dachte: „Das schaffe ich jetzt noch. Aber was hab ich nur getan?“ Und ich habe wieder dieses ganze Gefühl der Liebe umarmt und sagte zu mir: „Ich konzentriere mich nur auf die Stimme meiner Mutter und mache einen Schritt nach dem andern. Und stellte mir vor, ihre Beine, wären in meinen Beinen.“ Das Gehirn macht da ganz seltsame Dinge, in so einem Moment. Und als wir 12 Stunden späetr zurückkehrten, zitterten meine Knie und ich sah von Weitem schon die Zelte des Lagers. Es war der größte, kraftvollste und grauenhafteste Moment in meinem ganzen Leben. Und die größte Emotion, die ich jemals erlebt habe. Man hat mich oft gefragt, wie es war und ich muss sagen: „Es war alles. Alles.“

Das ist so bewegend – Du hast vorhin das Risikomanagement von Frauen angesprochen, deshalb jetzt die Frage. Hast Du keine Kinder?

50 Ein Sprung ins eiskalte Wasser in Svalbard - Fotos Jerry Ranger www.harbor-magazin.de The HARBOR Magazine II.2023

Doch, ich habe eine Tochter jetzt. Sie war eine Frühgeburt und ich habe tatsächlich alles, was ich auf dem Mount Everest gelernt habe, dort angewendet. Und genau das erzähle ich jetzt auch alles Müttern. Nachdem meine Tochter an so vielen Geräten hing und es so eine schwierige Zeit war, gibt es für mich kein Risiko, das mit dem verglichen werden könnte, was eine Mutter leistet. Leben zu schenken und ein Kind auf die Welt zu bringen, ist das Größte, was man erreichen kann. Wenn man sich konfrontiert, sieht mit diesen zwei Optionen, ob man nun weitermacht oder stirbt, tragen Menschen diesen Wunsch, weiter zu leben ganz tief in sich. Man kann sich nicht vorstellen, durch etwas durch zu gehen, bis man durchzugehen hat. Es ist unvorstellbar, was man erreichen kann, wenn man es erreichen muss. Ich bin auf so viele Arten dankbar und glücklich, dass ich mir selbst eine Situation zeigen konnte, durch die ich durchmusste. Wenn man den Gipfel eines Berges erreicht, ist es nur der halbe Weg. Man ist völlig ausgeliefert. Man muss es zu Ende Bringen. Man kann nicht plötzlich aufhören und sagen: „Das war’s jetzt.“ Man muss das Kind letztendlich gebären oder man muss den Berg hinuntersteigen. Es nützt nichts. Ich denke, es gibt Menschen, die können ni einem Status der Meditation diesen Zustand der totalen Anwesenheti im jetzigen Moment erreichen. Denn genau das ist es, was passiert, wenn man sich in diesen unglaublich gefährlichen oder lebensverändernden Situationen befindet: man wird nicht panisch oder ist gestresst, sondern man versucht damit fertig zu werden Man ist ganz präsent und anwesend. Und das ist so eine kraftvolle Situationu nd ich konnte das in so vielen Momenten des Lebens anwenden. Wenn man sich mitten in der stressvollen Situation befindet, ist es nicht schwierig, weil man sich damit zurechtfindet in dem Moment. Die Erschöpfung anschließend oder die Angst davor sind viel schlimmer und schwieriger.

Hattest du ein Trauma später?

Als ich schwanger wurde, verließ mich mein Partner während der Schwangerschaft und ich hatte eine sehr schwierige Schwangerschaft und mein Kind kam zwei Monate zu früh zur Welt. Eine unglaublich schwierige Zeit für mich, in der ich ununterbrochen im Bett liegen musste. Und da dachte ich oft, dass ich es nicht schaffen würde. Aber ich dachte auch bei mir: „Squash, Du hast den Mount Everest bestiegen. Du schaffst auch das, Du bist stärker, als Du Dir jemals vorgestellt hast. Du schaffst das Schritt für Schritt. Es ist nur ein bisschen anders als auf dem Everest.

Warum bist du denn nie nach Hollywood gegangen, als Stuntfrau, wenn man schon so wenig Ängste besitzt?

Doch, ich habe Ängste, und ich fürchte mich auch. Ich nehme kalkulierte Risiken auf mich. Ich bin eher ein ruhiger Mensch.Ich bin mehr ein Tausendsassa, als dass ich mich auf nur eine Sache total konzentrieren könnte. Ich fahre Motorrad und mache Paragliding und steige auf Berge und so weiter. Als Stuntman muss man doch sehr fokussiert sein auf das, was man tut. Und ich möchte und will nicht sterben. Eine amerikanische TV-Show hat bei mir angefragt, ob ich Basejumping machen möchte. Ich habe dann zehn oder zwölf Testsprünge gemacht und habe hinterher beschlossen, dass ich das nie wieder machen möchte, denn ich kenne so viele Experten und wirklich top ausgebildete Leute, die das gemacht haben und dabei gestorben sind, denn es ist so gefährlich. Ich will alson icht sterben. Viele fragen mich, was als Nächstes kommt und ob es noch andere Berge und Hürden für mich gäbe. Ich sage: „Ich bin heute 41 Jahre und ich bin auf den Everest gegangen, als ich 30 war und keine Kinder hatte. Es war leichter für mich, diese Dinge zu machen, als ich nur an mich selbst gedacht habe, als ich jung war und keine Verantwortung hatte. Es ist etwas Grundlegendes, was sich durch die Geburt meiner Tochter verändert hat – ich habe vorher nie meine eigene Sterblichkeit gespürt. Als sie jedoch geboren wurde, wusste ich, ich muss hierbleiben für sie und mein Wille Risiken auf mich zu nehmen, ist wirklich sehr nach unten gestiegen. Vielleicht ändert sich das wieder, wenn sie älter wird, aber im Moment ist das kein Thema. Und ich habe ja alles unter Beweis gestellt und ich war ja auf dem Everest. Ich muss also nichts mehr beweisen. Jetzt habe ich ganz andere Ziele auch beruflich im Leben und würde gerne mehr als Sprecher arbeiten oder als Coach. Übrigens ein massiver Wunsch und tatsächlich ein größeres Ziel als der Everest es jemals war. Jetzt möchte ich, dass jeder seinen persönlichen Everest erreicht und ich den Menschen dabei behilflich sein kann.

Trotzdem die Frage: würdest du noch mal auf den Everest steigen?

Ich würde niemals Nein sagen, aber als ich schwanger war, hatte ich eine große Thrombose. Was auch eine recht gefährliche Sache ist und was bedeutet, dass man sehr vorsichtig auf sehr hohen Bergen sein müsste. Normalerweise ist das ein Aus für Bergsteigen, auf sehr hohe Gipfel. Natürlich gibt es Teile in mir, die diese Herausforderungen wirklich vermissen. Ich würde zum Beispiel gerne nach Pakistan, da gibt es einige sehr hohe Berge. Aber vielleicht wäre es jetzt für mich auch okay dorthin zu fahren und die Berge in ihrer Schönheit gemeinsam mit meiner Tochter von unten anzusehen. Wenn man älter wird, gewinnt man sehr viel an Weisheit und Weitsicht und Wissen. Und die Stärke, Berge zu besteigen, ist nur ein Teil davon. Man braucht auch die anderen Eigenschaften. Deshalb ist es oft sehr gut, mit älteren, erfahrenen Bergsteigern unterwegs zu sein, die die Fähigkeiten besitzen, geduldig zu sein und die Umgebung zu spüren. Ich möchte jetzt eben, dass mein Publikum genau diese Erfahrungen wahrnehmen kann, die für den Erfolg im Leben eben so unglaublich wichtig sind. Denn die großen Sachen, die wir erreichen, sind die Summe aus den ganz kleinen Dingen, die wir täglich tun, die unser Leben kreieren. Dass ich fähig war, auf den MountEverest zu steigen, war die Summe der kleinen Aktivitäten, die ich im Vorhinein monatelang schon vorbereitet hatte. Wenn ich mich also jeden Tag ein bisschen gut ernähre oder jeden Tag nur 10 Minuten Yoga mache oder meine Flexibilität erhöhe, dann hat das die größte Auswirkung auf das gesamte Leben.

Interview: Elke Bauer / fullservice360.com
Foto: Jessica Wardwell

 

Back to blog