Francis Fulton-Smith über Stabilität im Leben und im Beruf

Francis Fulton-Smith über Stabilität im Leben und im Beruf

Stabilität – ein Begriff, der in einer Welt des ständigen Wandels und der Unsicherheit oft schwer zu fassen scheint. Was gibt uns Halt, was orientiert uns, wenn alles um uns herum im Fluss ist?  Im Gespräch mit dem großen Schauspieler Francis  Fulton-Smith, einem Mann, der in seiner Schauspielkarriere unzählige Leben und Rollen verkörpert hat, möchten wir uns diesen Fragen nähern.  Denn wahre Standhaftigkeit ist mehr als nur ein  äußerer Zustand – sie ist eine innere Haltung,  die auf tief verwurzelten Werten und Überzeugungen basiert. Heute wollen wir herausfinden, was es für einen Schauspieler bedeutet, im Leben  und auf der Bühne stabil zu bleiben, und wie wir  als Gesellschaft mit den Herausforderungen von  Unsicherheit und Veränderung umgehen können.  

Lieber Francis, wenn Du auf das Leben blickst – ist das, was wir gemeinhin als Sicherheit oder Halt empfinden, überhaupt real? Oder beruhigen wir uns selbst mit dieser Vorstellung?

Das ist natürlich eine große Frage gleich zu Beginn. Vielleicht sogar die Frage aller Fragen. Ich persönlich glaube: Die einzige Sicherheit ist, dass es keine Sicherheit gibt. Die Griechen haben das „Pantarei“ genannt, „alles ist im Fluss“. Das gesamte Universum ist im Fluss. Wir bewegen uns in Wellen, alles durchströmt uns in Wellen, quantenphysikalische Gesetzmäßigkeiten finden in Wellen statt. Es ist natürlich so, dass wir als kleine Menschenwesen immer nach einer gewissen Sicherheit suchen und uns auch gerne irgendetwas erklären wollen, weshalb uns der Himmel nicht auf den Kopf fällt oder warum er uns vielleicht doch auf den Kopf fällt. Das ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Deswegen sind Religionen entstanden, Philosophien. Aufgrund dieser Erkenntnisse gibt es eben auch den Kosmos und die kosmischen, astrologischen oder astronomischen Zusammenhänge. Und wer Griechisch kann weiß, dass das Gegenteil von Kosmos das Chaos ist und bisweilen befinden wir uns halt im Chaos. Wie ich glaube, auf der Suche nach dem Kosmos, also nach der Ordnung. Und insofern ist das Sicher-heitsdenken das Sicherheitsbestreben ein zutiefst menschliches Bedürfnis, das wir haben, brauchen und das auch extrem wichtig ist. Wenn wir Kinder in die Welt setzen, brauchen diese ganz klare Grenzen, ganz klare Verabredungen, innerhalb derer sie sich entwickeln dürfen, sollen und müssen. Aber natürlich muss ein Kind diese Regeln auch irgendwann erfüllen oder durchbrechen, um sich den Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen. Wenn wir also glauben, dass Materie fest sei, dann nur, weil wir zu langsam schauen. In Wahrheit ist alles Bewegung – Energie, Schwingung, Beziehung. Auch wir selbst sind keine festen Körper, sondern Felder aus Möglichkeiten. Stabilität bedeutet in diesem Sinne nicht Stillstand, sondern die bewusste Navigation durch das Unbeständige. Diese Gewissheit erfüllt mich persönlich mit großer Sicherheit.

Gibt es in Deinem Leben einen Moment, in dem Du alles in Frage stellen musstest? Also die Rolle, den Platz, die Richtung?

Durch meine Arbeit als Schauspieler, als Künstler stelle ich mich tatsächlich quasi per Definition permanent in Frage, denn man ist ja ein Suchender: „Ist das so richtig? Ist der Ausdruck richtig? Die Tonalität? Ist die Sensibilität richtig? Ist man genügend in der Tiefe angekommen, um dem Konflikt oder dem Dialog auch gerecht zu werden?“ Insofern ist meine Arbeit im kreativen Bereich ein ständiges Infragestellen und im besten Fall lasse ich genau das los und verabschiede mich von dieser Zusammenarbeit in der Zwischenwelt. Als eine Art Reset und dann mache ich mich bereit für die Zukunft, sprich für die nächste Rolle, die nächste Herausforderung. Ich meditiere sehr gerne morgens und habe so meine Rituale und Riten, was mit einem Freimachen, Platzmachen zu tun hat. Einer meiner Schauspiellehrer, Rolf Boysen, hat immer gesagt: „Machen Sie Platz für den Ausdruck.“ Ja, ich stelle mich in Frage. Grundsätzlich durch meine Arbeit ist das Infragestellen, das Hinterfragen, das Überprüfen ein sehr wichtiger Bestandteil und ich habe natürlich auch, aber da wollen wir ja nicht explizit darauf eingehen, in meinem privaten Leben einige grandiose Schiffbrüche hingelegt, die mich komplett von außen eben haben auch in Frage stellen lassen. Ich glaube tatsächlich, dass das Leben unter anderem darin besteht, dass wir lernen, dass das Universum uns bestimmte Aufgaben zuteillassen kommen möchte, in denen wir uns entwickeln dürfen oder lernen sollen. Das macht das Universum sehr verspielt. Aber wenn wir uns weigern, hier die Botschaft zu sehen, zu hören oder umzusetzen, dann werden diese Prüfungen radikal verschärft. Das kann dann bis zu Krankheit und Tod führen, um es mal zu verkürzen. Das ist aber alles in meiner Definition der Welt und des Universums ein ganz natürlicher Prozess und insofern ist auch das Sich-in-Frage-Stellen eine wunderbare Möglichkeit, wenn man es eben nicht als Bedrohung empfindet, sondern als Chance, denn dann ist es nicht beängstigend, sondern befreiend.

Du tauchst ja als Schauspieler permanent in andere Leben ein. Was passiert denn mit Dir selbst, wenn du ständig in andere schlüpfst? Verlierst Du da was oder gewinnst Du oder schärfst Du erst etwas dadurch? 

Wenn man es technisch beantworten will, gibt es das deduktive und das induktive Spielen und da gibt es ganz viele philosophische Ansätze. Auch in der Schauspielerei. Berthold Brecht hat den Verfremdungseffekt postuliert und gesagt, wir müssen so tun, als ob, also aus der Behauptung kommen. Stanislawski und andere, Lee Strasberg und so weiter, haben gesagt, es muss von innen kommen. Es muss eine Wahrhaftigkeit haben. Ich glaube, das ist wie bei der Malerei als Überbegriff zu sehen. Man kann etwas mit Öl malen, was eine grobe Ausdrucksweise im Vorgehen besitzt. Man kann aber auch etwas mit Aquarell oder Tusche fertigen, was eine ganz feine Technik benötigt. Und beim Theater sehe ich das genauso. Wenn ich jetzt in den Karl-May-Festspielen vor 8.000 Zuschauern am Tag spiele, dann habe ich natürlich größere Spielräume zu füllen, als wenn ich vor einer Kamera in einer Großaufnahme bin. Insofern ist es etwas Technisches, wie man da einsteigt. Aber jetzt nochmals zur Frage: Zum Beispiel einen Mörder zu spielen ist das Extremste. Es geht immer um Kontakt! Zu sich selbst, zum Gegenüber, zum Miteinander. Der Mord ist also die radikalste Art der Kontaktaufnahme. Aber man muss natürlich nicht zwingend der Mörder sein, um einen Mörder spielen zu können. Deswegen heißt es ja auch Schauspielen und nicht Schausein. Die Fantasie ist somit unsere größte Waffe, unser größtes Wunder und Geschenk. Karl May zum Beispiel war nie im Wilden Westen gewesen, sondern in Ostdeutschland im Gefängnis und hat eben diese wunderbaren Romane erdacht. Heute gibt es dann Leute, die selbst ernannten Wahrhaftigkeitskrieger, die sagen, das hätte er gar nicht gedurft, schließlich sei 
er kein Indianer gewesen. Wenn man das satirisch bis zum Ende durchdenkt und wenn man nur das sein darf, was man ist, dann dürften wir Deutschen an Fasching nicht als Cowboy und Indianer rumlaufen, sondern müssten alle eine SS-Uniform tragen. Das kann es ja nicht sein. Das Spielen muss eine menschliche Freiheit bleiben. Ich versuche mich immer so zurückzunehmen und Platz für den Ausdruck zu machen, quasi meinen Körper als Gefäß dienen zu lassen, in das ich den Geist der Figur für eine Zeit X hineinfließen lasse. Dann ist es aber für mich gleichzeitig wichtig, dass ich immer den schützenden Brudermantel um meine Figur werfe. Das heißt, ich bin der Verbündete der Figur. Wenn ich eine einfache Liebesge-schichte erzähle, dann fällt mir das möglicherweise leichter, wenn ich einen Mörder spiele, ist es natürlich ungleich schwieriger. Ich habe jetzt gerade nochmals in den Nürnberger Prozessen Hermann Göring gespielt, was wirklich eine sehr komplexe und sehr brutale Aufgabe war. Ich habe ihn nun zum zweiten Mal gespielt, und habe sehr lange mit mir gehadert, ob ich das nochmal tun möchte. Mich überhaupt nochmal mit dieser Figur und diesem Menschen befassen möchte. Normalerweise würde man wohl sagen: „Auf gar keinen Fall!“ Und würde lieber schreiend davonlaufen. Aber wir leben eben auch in einer Zeit, in der die Kinder und Jugendlichen wahrscheinlich nicht das „Urteil von Nürnberg“ gesehen haben, mit Richard Widmark, Maximilian Schell und Spen-cer Tracy. Und vielleicht wissen sie noch nicht einmal, dass es den Film gibt, was er bedeutet hat. Zu meiner Zeit war es Pflicht, "Die Brücke" von Bernhard Wicki zu sehen. Nicht aus Angst vor Trauma, sondern um gerade zu traumatisieren! Aber jede Generation braucht die Möglichkeit, gerade in den historischen schwierigen Dingen eine Identifikationsplattform zu bekommen. Dieses Jahr ist der 80-jährige Jahrestag des Beginns der Nürnberger Prozesse. So hat die ARD beschlossen, hier eine riesige Doku-Fiction zu zeigen, ein Mix aus Zeitzeugen mit dokumentarischem Material und fiktiven Szenen, die auf historisch recherchierten Beiträgen beruhen. Und in diesem Kontext habe ich mich entschlossen, nochmals Hermann Göring zu spielen. Denn man muss verstehen, wie das im Dritten Reich und die Architektur des Bösen funktioniert hat, wie die getickt haben, um auch den Gefahren die heute überall lauern, ein bisschen wachsamer gegenübertreten zu können. Für die Zeit, in der ich Hermann Göring „bin“ muss ich mich hinten anstellen und mich selbst an die Rolle übergeben. Versuche, den Zugang über den Menschen Hermann Göring selbst zu finden, den Familienvater, Kunstliebhaber, den enorm intelligenten und gebildeten Menschen, den hochdekorierten Soldaten. Der enorm drogenabhängig war. Nur durch die Fallhöhe wird das Grauen sichtbar. Ich versuche mich in all meinen Figuren maximal zurückzuziehen und maximalen Raum für die Figuren bereitzustellen. Auch bei der Rolle des Franz Josef Strauß, den ich gespielt habe und bei vielen anderen Rollen. 

Was sind für Dich Werte, die auch in Zeiten des Umbruchs nicht verhandelbar sind?  Da gibt es keine einfache Variante. Auch der liebe Gott hat gesagt, dass es nicht so einfach ist. Niemand hat je behauptet, dass es einfach ist. Es ist ein ständiges Ringen mit sich selbst, was Goethe als "zwei Seelen, ach in meiner Brust" beschrieben hat. Nichts ist in Stein gemeißelt, auch wenn wir es noch so sehr wünschten. Keiner von uns kann mit Sicherheit behaupten, dass Moses vielleicht nicht doch mit 15 Geboten zurückgekommen war und dann sind ihm fünf runtergefallen. Jetzt haben wir 10 Gebote. Das weiß man nicht. Albert Einstein hat gesagt, die wichtigste Entscheidung unseres Lebens ist, dass wir beschließen, ob wir in einem friedlichen oder in einem feindlichen Universum leben wollen. Wenn ich das annehme, als gegeben, und das zu Ende denke, dann bedeutet das, wenn ich mich entschließe, in einem feindlichen Universum zu leben, dann wird das Universum mir lauter feindliche Dinge spiegeln. Wenn ich morgens aufstehe und sage, dass da draußen lauter Idioten sind, werde ich den ganzen Tag auch lauter Idioten begegnen. Und dann am Abend sage ich dann, dass ich genau das gewusst habe. Alle Idioten, außer ich selbst. Aber wenn ich morgens aufwache und mich anders konditioniere und sage, heute wird ein großartiger Tag, und ich werde viele interessante Menschen treffen und ich werde inspirierende Gespräche haben und ich werde mit etwas nach Hause kommen, was mich bereichert hat, dann wird mein Tag vollkommen anders ablaufen. Ich glaube deshalb, dass wir als Menschen die große Chance haben, dass wir um uns herum alles manifestieren können. Dass sich die Gedanken materialisieren. Den Gedanken ist es völlig egal, durch wen oder was sie das tun. Es ist eine Energie, die sich manifestieren muss. Und die göttliche Energie, aus der wir alle kommen, ist möglicher-weise ein Energiezustand, der keine Körperlichkeit hat. Sie braucht also eine körperliche Hülle, um die Sinne erleben zu dürfen. Wir dürfen uns einfach immer hinterfragen, ob das wirklich alles absolut ist, ob es wirklich so ist. Wir müssen, wenn wir im Streitgespräch mit einem anderen sind, bemüht sein, herauszufinden, was er wirklich sagen möchte. Wir müssen hinhören und nicht zuhören. Wir müssen gar nicht immer recht haben. Wir haben so viele Möglichkeiten, so viele Millionen von Jahren Erfahrung und Hunderttausende von Jahren der Menschheitsentwicklung hinter uns – warum reduzieren wir uns immer auf eine absolute Antwort? Wenn wir doch wissen, es ist viel mehr denkbar, machbar und möglich.

Was würdest Du Dir selbst als jungem Mann sagen, was Du besser festhalten solltest und was Du besser loslassen solltest, um eine Stabilität für Dich selbst im Leben zu bekommen?

Ich glaube, das Wichtigste in unserem Leben ist Zeit. Es gibt drei Dinge, die man nie zurücknehmen kann: Die Zeit, das gesprochene Wort und den abgegebenen Schuss. Drei Dinge, die unwiderruflich sind und mitunter brutal in ihrer Konsequenz. Wenn wir uns erlauben Zeit für uns selbst zu haben, dann ist das enorm wichtig für die eigene Seele. Wenn wir uns aber auch Zeit für den anderen nehmen, für die Kinder, für den Partner, die Gesellschaft, dann ist das genauso wichtig. Die einzige Verabredung, in der wir das gesellschaftlich hinbekommen, ist die Arbeit. In ihr geben wir nämlich unsere Lebenszeit dafür hin, dass jemand anders uns Geld gibt. In diesen vielleicht acht Stunden am Tag, in denen man für jemand anderen arbeitet, hat man keine Zeit mehr für sich selbst. Deswegen sollte jeder Mensch sehr genau überlegen, was er arbeiten möchte, weil er die meiste Zeit für jemand anderen hingibt. Um es konkreter zu beantworten: ich möchte gerne mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen. Und mit den lieben Menschen, die mir wichtig sind und die mir einen Mehrwert geben, die sich freuen, wenn sie mich sehen und die auch nicht fragen, ob sie irgendwas dafür bekommen, dass ich da bin, sondern die einfach da sind, sie selbst sind und die mich auch mich selbst sein lassen. Dass das aber nicht immer möglich ist, hängt von vielen äußeren Faktoren ab.  Wir sind von einem morphologischen Feld umgeben. Rupert Sheldrake hat ein großes Buch darüber geschrieben. Wir sind alle gedanklich und energetisch miteinander vernetzt. Ich muss also nicht direkt in Kontakt sein, mit dem anderen Menschen, um ihm Liebe zu wünschen oder zu senden. Das bedeutet, wenn ich das auf meine Kinder übertrage und auf mich selbst, heißt das, wenn ich an meine Kinder denke und ihnen Liebe zu Teil werden lasse, in den Gedanken, im Gebet, in der Meditation, dann wird es sie auch erreichen. Wenn man das zu Ende denkt, kann man ganz viele Konflikte eben auch dadurch lösen, indem man entspannter mit sich selbst umgeht und mit dem anderen und sich dadurch ganz andere Schwingungen in Bewegung setzen, die ganz andere Resonanzen erzeugen. Dann – haben wir auch eine Sicherheit. Und die  Sicherheit heißt dann energetisches Netz, durch  das keiner durchfallen kann, durch das keiner  verloren gehen kann, weil wir alle zusammen  sind und miteinander verbunden.

 

Text und Interview: Elke Bauer

Alle Fotos: Marius Engels | www.mariusengels.com

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